Sprunglinks

zurück
Manuela di Giulio

Neue Tools für mehr Biodiversität in Siedlungsräumen

Biodiversität hat einen positiven Einfluss auf die Gesundheit. Deshalb hat das BAG das Projekt «Siedlungsnatur gemeinsam gestalten» mitfinanziert. Am 12. Juni 2024 hat das Projektteam in Bern die Projektergebnisse und -produkte vorgestellt, um die Biodiversität der Siedlungsnatur schweizweit zu steigern. Spectra hat mit der Co-Projektleiterin Manuela Di Giulio über die Ziele und Ergebnisse des Projekts gesprochen.

Was ist das Hauptziel des Projekts «Siedlungsnatur gemeinsam gestalten»?

Manuela Di Giulio: Unser Ziel ist, dass Biodiversität ganz selbstverständlich mitgedacht und mitgeplant wird. Dies bei der Planung von einzelnen Immobilien, aber auch bei Aussen- und Freiräumen in Quartieren. Wir erhoffen uns einen Paradigmenwechsel: So wie man bei einem Bau Badezimmer oder Stromleitungen standardmässig berücksichtigt, so soll auch Biodiversität integriert sein. Nicht als «nice to have» zu Projektende, sondern von Anfang an fest integriert. Nur wenn man von Anfang an alles mitdenkt, kann jeweils das Maximum herausgeholt werden. So beispielsweise mit Dach- und Fassadenbegrünungen, die ja auch Anforderungen an die Statik bringen oder mit dem Pflanzen von Bäumen, welche unter- und oberirdisch genügend Platz brauchen. Biodiversität muss im ganzen Prozess berücksichtigt und sichergestellt werden – von der Planung bis zum Unterhalt.

Nun haben Sie neue Tools für mehr Siedlungsnatur erarbeitet. Wer ist das Zielpublikum?

In erster Linie Personen, die in der Baubranche, aber auch im Unterhalt und in der Bewirtschaftung von Immobilien tätig sind. Auch die kommunale Raumplanung ist eine Zielgruppe. Hier stellt sich die Frage, wie Gemeinden mit Privaten zusammenabreite können: Was braucht es für Rahmenbedingungen, damit nicht nur die öffentlichen Grünflächen biodivers werden, sondern auch private Flächen? 

Warum ist Biodiversität so wichtig für unsere Gesundheit?

Die Literatur zeigt klar, dass Biodiversität die Gesundheit fördert. Ein Aspekt ist die Erholung: Der Aufenthalt im Grünen und der Kontakt mit der Natur reduziert Stress und fördert die Entspannung. Biodiversität verstärkt diesen Effekt und führt zu mehr Erholung als einheitliches Grün. Ein anderer Aspekt ist, dass der Kontakt zur Natur die kindliche Entwicklung fördert – die neuronale und die physiologische. Und natürlich fördern attraktive und qualitativ hochwertige Aussenräume auch die Bewegung. 

Das BAG hat das Projekt unterstützt, eben auch um die Bewegung der Menschen zu fördern...

Wenn wir naturnahe und attraktive Begegnungsräume wie Spiel-, Sport-, oder Grill- und Gartenplätze mit ausreichend Schatten errichten, bewegen sich die Menschen mehr. Gerade in der Covid-19-Pandemie sind die unmittelbaren Naherholungsräume extrem wichtig geworden. Seither sind sich die Menschen bewusster, was qualitativ gute Aussenräume in der Nähe bedeuten.

Mehrere Pilotprojekte haben Erkenntnisse gebracht, wie Biodiversität erhalten oder gar gefördert werden kann. Wer waren die Projektpartner?

Wir hatten verschiedene Pilotpartner von Genossenschaften bis zu privaten Immobilienentwickler. Auch eine Gemeinde war dabei. Die Pilotpartner haben Immobilien in verschiedenen Lebenszyklusphasen, sodass wir alle Phasen bearbeiten konnten. Und sie waren unterschiedlich sensibilisiert. In der Genossenschaft, wo man die Mietendenden und damit die Nutzenden der Aussenräume kennt, war das Bewusstsein für die Bedeutung einer guten Aufenthaltsqualität generell höher als bei privaten Immobilienbewirtschaftenden.

Wie haben Sie die Pilotpartner ausgewählt?

Wir wurden von sensibilisierten Leuten angefragt, die unser Vorhaben bereits kannten. Die Leute, die uns angefragt haben, mussten dann innerhalb ihrer Organisation Überzeugungsarbeit leisten. Denn nur wenn alle Betroffenen dasselbe Ziel haben und ein solches Vorhaben unterstützen, kann Biodiversität langfristig gefördert werden. Das war z.B. bei der kantonalen Immobilienverwaltung oder bei einer Stiftung mit einem grossen Immobilienportfolio so.

Können Sie mehr über diese Pilotphase erzählen?

Das ganze Projekt hat fünf Jahre gedauert. Bei den einzelnen Pilotprojekten konnten wir immer nur einen Teil des ganzen Prozesses begleiten. Viele Massnahmen, welche wir seit der Planung begleiten, kommen jetzt erst in die Ausführung – diese Prozesse brauchen viel Zeit. Darum haben wir versucht, bei den Pilotprojekten möglichst alle Projektphasen abzudecken. Bei der Pflege und Bewirtschaftung haben wir in kurzer Zeit Resultate erzielt. Dort war die Frage: Was gilt es in der Pflege von Grünflächen anzupassen? Das konnten wir gleich umsetzen und die Erfahrungen sammeln. Die Resultate anderer Pilotprojekte sieht man noch nicht in der Umsetzung, da teilwese erst Pläne bestehen oder die Ausführung erst gerade begonnen hat. Für uns sind die Projekte nun aber abgeschlossen. Die Erkenntnisse, die wir gesammelt haben, sind in die beiden Tools Toolbox SiedlungsntaurTM und BioValuesTM eingeflossen. Wir überprüfen nur noch vereinzelt die Qualität der einzelnen Projekte, beispielsweise ob die von uns erstellten Pflanzlisten eingehalten werden.

Was ist die Haupterkenntnis aus den Pilotprojekten?

Es braucht ein ganzes Bündel an Massnahmen, damit Biodiversität konsequent in allen Lebenszyklusphasen mitgedacht wird. Auf Organisationsebene muss ein Bewusstsein geschaffen, die Prozesse angepasst werden und die Ziele verankert werden, damit Biodiversität integriert wird. Das ist nicht selbstverständlich. Dann müssen Personen befähigt werden, beispielweise angestellte Gärtnerinnen und Gärtner oder Hauswartungspersonal. Sie müssen wissen, was und warum sie etwas umsetzen. Auf der Flächeneben muss langfristig eine naturnahe Pflege sichergestellt werden. Eine weitere Erkenntnis: Es braucht Zeit und Geduld. Man sieht keine schnelle Wirkung, denn sowohl die organisationellen als auch die ökologischen Prozesse brauchen Zeit. 

Können Sie dies mit einem Beispiel erläutern?

Eine Genossenschaft hegte den Wunsch, Blumenwiesen zu fördern. Das klingt nicht speziell aufwändig, aber es steckt viel dahinter. Denn dafür benötigt man auch das entsprechende Werkzeug. Die Genossenschaft musste einen neuen Balkenmäher anschaffen und die Mähprozesse anpassen. Denn nun muss zu einem anderen Zeitpunkt und von anderen Berufsleuten gemäht werden: Die Gärtner haben mehr zu tun, da früher die Hauswarte die Rasenflächen mit Rasenmähern gepflegt haben. Und die Gärtner müssen ihre Arbeit anders planen, da nicht jede Liegenschaft über einen Balkenmäher verfügt. Dabei spielt es natürlich eine grosse Rolle, ob es eine einzelne Wiese oder 70 Liegenschaften zu pflegen gibt. Um eine gängige Praxis anzupassen, braucht es Geduld und willige Menschen.

Sind die beiden Tools kostenlos, z.B. BioValuesTM?

Ja, die stehen im Moment gratis zur Verfügung. Sie sind ja auch mit öffentlichen Geldern entwickelt worden. Das Webtool BioValuesTM ist registrierungspflichtig, damit wir die Nutzenden kennen. Wir wollen, dass es breit genutzt wird. BioValuesTM ist übrigens ein Tool, das wir nicht von Anfang an geplant haben – das hat einer unserer Pilotpartner in Auftrag gegeben. Wir haben aber gemerkt, dass dies einem grossen Bedürfnis entspricht. Immobilienbewirtschafter und Planende arbeiten mit Kennwerten, deshalb braucht es im Bereich Biodiversität ensprechende Tools.

Links

Kontakt

Gisèle Jungo

Sektion Prävention in Gesellschaft und Arbeit

Nach oben